International Social Service, ich hatte ja keine Ahnung

Arun Dohle

Genau wie viele von euch, die ihr das lest, bin auch ich 1973 von Indien nach Deutschland adoptiert worden. Meine Meinung zum Thema Adoption war grundsätzlich positiv, ebenso wie meine Einstellung zu Organisationen wie dem International Social Service (ISS), die damit betraut waren. Ich hatte ja keine Ahnung…

Als ich 1999 das erste Mal Zugang zum Internet hatte, fing ich an zu recherchieren. Das Internet bot mir die erste Gelegenheit, einige Informationen zu sammeln. Doch noch immer hatte ich keine Ahnung…

Heute ist es so, dass Regierungen der Empfängerländer den ISS bei diversen Diensten staatlich fördern. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass der ISS auch dafür subventioniert wird, dass er Adoptierte bei ihrer Herkunftssuche unterstützt. Sie werden als Experten wahrgenommen, auf die sich die Regierungen der Empfängerländer verlassen können.

In den kommenden Wochen werden wir nach und nach über die Beteiligung des ISS an internationalen Adoptionen berichten, und auch über seine direkte oder indirekte Mitschuld am Kinderhandel zum Zweck der Adoption.

Ich kann voll und ganz verstehen, dass das nur sehr schwer zu glauben ist. Ich habe es mir selbst viele Jahre nicht vorstellen können. Ich dachte, der ISS sei die Fachstelle, die ethische und legale Adoptionen gewährleistet, die die Bedürfnisse von Adoptierten und Kindern versteht, genauso wie deren Rechte.

Ich hatte keine Ahnung, dass der ISS nicht auf unserer Seite steht.

Nach zwei Jahrzehnten Recherche und Herumwühlen in den Abgründen der internationalen Adoption, weiß ich heute etwas mehr. – Ja, es ist immer noch erst die Spitze des Eisbergs.

Dennoch, das was ich weiß, werde ich mit euch teilen.

Ich fange damit an, aufzuklären, wie genau der ISS in meine eigene Adoption verwickelt war und wie er mich im Stich gelassen hat. Dies dürfte exemplarisch für viele Adoptionen aus Indien sein und besonders für Adoptionen aus Maharashtra.

Aufgrund einer Vielzahl von Skandalen in Indien wurden Adoptionen reglementiert. Seit 1972 wurden indische Gerichte bei jeder einzelnen Adoption von dem indischen Korrespondenten/Äquivalent des ISS, dem International Council of Social Welfare (ICSW), beraten. Sie fungierten als „Clearingstelle“. [1]

Im Klartext hieß das für meinen Fall, dass der ICSW, der indische Korrespondent/das indische Äquivalent/Pendant des ISS, dem indischen Gericht empfahl, dass meine Adoption meinem Wohl dient.

Im untenstehende Brief, den ich bei meiner Recherche fand, steht klar und deutlich, dass sie nicht nachgeprüft haben, ob die gesetzlich vorgeschriebene Verzichtserklärung vorlag.

Erst 2010, nach sieben Jahren Rechtsstreit, erhielt ich Zugang zu meiner Adoptionsakte, eine Verzichtserklärung schien bei den Unterlagen des Waisenheims nicht vorhanden zu sein.

Meine Mutter hatte also nie in eine internationale Adoption eingewilligt, oder in die Änderung meines Namens und meiner Identität. Ich wurde ohne die Zustimmung meiner Mutter adoptiert.

Bei meiner Adoption gab es keine Adoptionsvermittlungsstelle. Meine Adoptiveltern waren zu Besuch in Indien und wussten nicht so wirklich, was zu tun war. An wen haben sie sich also gewandt? An Fachleute: ISS.

In gewisser Weise war der ISS auch bei der bei der Bearbeitung meiner Adoption durch die deutschen Behörden beteiligt, weil sie meine Adoptiveltern dabei berieten, die rechtliche Seite zu regeln.

Teil einer Adoption zu sein, in die die Mutter nicht eingewilligt hat, ist schon schlimm genug. Es ist etwas, das nicht mehr Rückgängig zu machen ist und das wir Adoptierte schlussendlich irgendwie akzeptieren müssen.

Aber was bedeutete die fehlende Verzichtserklärung für meine Herkunftssuche? Es bedeutete, dass es nahezu unmöglich war, eine Adresse oder überhaupt vollständige Angaben zu meiner Mutter zu finden. Dasselbe gilt für viele Adoptierte aus Indien.

Als ich 2002 mit meiner Herkunftssuche begann, verstand ich von alldem nicht so viel. Ich wusste nur, dass der ISS Adoptierten bei ihrer Suche hilft. Also registrierte ich mich dort und bezahlte den ISS dafür, dass er an meinem Fall arbeitet.

Ich habe von ihnen nie eine Mitteilung bekommen, was sie dabei genau unternahmen. Oder ob überhaupt etwas unternommen wurde. Mir wurde nur gesagt, wie schwierig solche Suchen sind etc.

Zusammengefasst: erst erlaubt es der ISS, dass meine ursprüngliche Identität ausradiert wird – ohne eine Verzichtserklärung meiner Mutter – und dann lassen sie mich bei meiner Herkunftssuche einfach im Stich.

Im nächsten Kapitel werde ich aufzeigen, wie der ISS sogar im unverhohlenen Kinderhandel aus Indien verwickelt war.

Bleibt dran! / Stay tuned!

[1]     Rule 316‐B: “ when a foreigner makes an application for being appointed as the guardian of the person of property of a minor, the Prothonotary and Senior Master shall address a letter to the Secretary of the Indian Council of Social Welfare, informing him of the presentation of the application and the date fixed for the hearing thereof. He shall also inform him that any representation which the Indian Council of Social Welfare may make in the matter would be considered by the Court before passing the order on the application”